„Lern was Ordentliches, dann wirst Du auch was!“ – ein Satz, den meine Oma früher oft gesagt hat. Und ja, sie hatte recht. Bevor ich mit 30 nochmal den Hörsaal betreten habe, habe ich eine ganz klassische Ausbildung in der Gastronomie durchlaufen. Rückblickend war das eine der wichtigsten und prägendsten Zeiten meines Lebens – nicht nur fachlich, sondern auch menschlich.
Heute, viele Jahre später, ist es genau dieses Thema, das mich immer wieder beschäftigt – nicht nur persönlich, sondern auch beruflich: Was ist eigentlich aus der guten, ehrlichen Ausbildung geworden?
Ausbildung als Lösung für den Fachkräftemangel?
Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig. Besonders in Branchen wie dem Handwerk, in der Pflege, der Gastronomie und Hotellerie spüren wir ihn ganz konkret. Gleichzeitig steigt die Zahl der Studienanfänger in betriebswirtschaftlichen Studiengängen – ein scheinbares Paradoxon.
Laut dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) entschieden sich im Jahr 2023 nur noch etwa 469.000 junge Menschen für eine duale Ausbildung – das sind fast 100.000 weniger als noch vor zehn Jahren. Auf der anderen Seite sind die Studienanfängerzahlen auf einem konstant hohen Niveau von über 470.000.
Was läuft also falsch? Liegt es daran, dass man in einer Ausbildung früh aufstehen, auch mal schmutzige Hände bekommen oder körperlich arbeiten muss? Oder steckt mehr dahinter?
Wenn Ausbildung zur Ausnutzung wird – ein persönliches Beispiel
Vor über 20 Jahren habe ich als Recruiter in einem IT-Dienstleistungsunternehmen gearbeitet. Es war eine wirtschaftlich schwierige Zeit – Kurzarbeit, Budgetkürzungen und Verunsicherung. Doch wer am meisten darunter litt, waren nicht etwa die Führungskräfte – es waren die Auszubildenden.
Statt eine fundierte Ausbildung zu genießen, wurden sie kurzerhand als Reinigungsersatz eingesetzt. IT-Systemkaufleute und Bürokaufleute mussten nachts Müll entsorgen und Büros saugen – und das mitten im Ausbildungsbetrieb. Dass dabei kein einziges Modul des Ausbildungsrahmenplans eingehalten wurde, versteht sich von selbst.
Ironischerweise wurden dieselben Azubis dann Wochen später bei einem hochdotierten Kundenprojekt eingesetzt – als billige Arbeitskräfte, die „mitlernen“ durften, aber faktisch keine Anleitung bekamen.
Was bleibt da vom eigentlichen Sinn einer Ausbildung übrig?
Ausbildung ist mehr als eine Verpflichtung – sie ist eine Investition
Natürlich sitzt ein Azubi nicht im Management. Natürlich macht man in der Ausbildung auch mal Aufgaben, die nicht glamourös sind. Aber wenn man jungen Menschen etwas zutraut, ihnen etwas beibringt und sie wachsen lässt, bekommt man oft viel mehr zurück: Loyalität, Motivation und langfristige Mitarbeit.
Ich habe es selbst erlebt: Meine Ausbildung in der Gastronomie war nicht immer Zuckerbrot, aber ich durfte viel lernen. So viel, dass ich bereits ein Jahr nach Abschluss meiner Lehre als Night Manager eines großen Hotels mit 320 Zimmern alleinverantwortlich Nachtschichten leitete. Zwei Jahre später war ich Restaurantleiter.
Ohne eine fundierte Ausbildung wäre dieser Weg nie möglich gewesen.
Warum gute Ausbildung den Unterschied macht – ein Branchenblick
Gerade in der Gastronomie ist die Lage dramatisch. In vielen Betrieben fehlen Fachkräfte – nicht, weil es keine Talente gibt, sondern weil jahrelang versäumt wurde, in Ausbildung zu investieren.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt:
Laut DEHOGA Bundesverband mussten 2022 rund 12% der Gastronomiebetriebe ihre Öffnungszeiten einschränken oder ganz schließen, weil Personal fehlte. Und gleichzeitig wurden über 14.000 Ausbildungsplätze in Hotellerie und Gastronomie nicht besetzt.
Die Folge: Dienstleistungsqualität leidet, Arbeitslast steigt – und viele Mitarbeitende wandern ab oder wechseln die Branche.
Warum verlassen so viele junge Menschen ihre Ausbildungsbetriebe?
Ein Blick in die Ausbildungsabbruchsquote spricht Bände:
Laut BIBB liegt die Abbrecherquote je nach Branche zwischen 25% und 35%. In der Gastronomie sogar bei über 40%.
Die häufigsten Gründe laut Umfragen:
- Mangelnde Wertschätzung
- Keine klaren Lernziele
- Schlechte Betreuung
- Einsatz für fachfremde Tätigkeiten
- Fehlende Perspektiven nach der Ausbildung
Pro und Contra: Ausbildung aus Unternehmenssicht
Hier eine Gegenüberstellung, warum Ausbildung sich lohnen kann – oder eben nicht, wenn man es falsch angeht:
Vorteile einer fundierten Ausbildung im Betrieb
✅ Frühe Bindung von Talenten
✅ Aufbau eines qualifizierten Mitarbeiterstamms
✅ Wissenstransfer innerhalb des Unternehmens
✅ Geringere Fluktuation nach Ausbildungsabschluss
✅ Positives Arbeitgeberimage
✅ Möglichkeit zur internen Entwicklung & Nachwuchsförderung
Nachteile oder Herausforderungen
❌ Zeitintensive Betreuung
❌ Kurzfristig geringere Produktivität
❌ Administrative Hürden (z. B. Ausbildereignung)
❌ Risiko von Abbrüchen
❌ Kosten für zusätzliche Leistungen & Schulungen
Aber: Langfristig wiegen die Vorteile fast immer schwerer.
So machen es andere – Best Practices aus der Wirtschaft
Einige Unternehmen haben das erkannt und investieren gezielt in ihre Ausbildung:
🔹 Eine große Drogeriemarktkette mit Sitz in Karlsruhe fördert ihre Azubis aktiv durch strukturierte Programme, Projektarbeit und echte Perspektiven. Jedes Jahr starten dort tausende Auszubildende – mit dem Ziel, langfristig zu bleiben.
🔹 Ein Partnerhotel, mit dem ich zusammenarbeite, bietet seinen Azubis die Möglichkeit, in anderen Häusern im Ausland zu arbeiten. Neue Länder, andere Kulturen und Prozesse – das ist nicht nur Weiterbildung, sondern auch Motivation pur.
Was macht eine Ausbildung heute attraktiv?
Ich höre oft: „Ich würde ja ausbilden, aber mir fehlt die Zeit oder das Geld!“ Und ja, gerade in kleinen Unternehmen ist das eine echte Herausforderung. Aber mit den richtigen Hebeln lässt sich viel bewegen:
1. Faire Vergütung – mehr als Mindestmaß
Wer das absolute Minimum zahlt, darf sich nicht wundern, wenn die Motivation gegen null geht. Ein kleiner Bonus, ein Fahrtkostenzuschuss oder sogar ein kleiner Dienstwagen mit Firmenlogo als Werbefläche kann Wunder wirken.
2. Verantwortung übertragen
Azubis sind keine Kinder. Wenn sie eigene Projekte übernehmen dürfen, steigert das ihre Eigenverantwortung – und ihr Selbstwertgefühl.
3. Perspektiven aufzeigen
Wer das Ziel kennt, bleibt motiviert. Die Aussicht auf eine Übernahme, Weiterbildung oder Aufstiegsmöglichkeiten schafft Orientierung.
4. Kultureller Fit
Junge Menschen möchten dazugehören. Eine offene, respektvolle Unternehmenskultur ist wichtiger als jeder Obstkorb.
Checkliste: So verbesserst Du Deine Ausbildungsqualität
Hier ein paar ganz praktische Fragen, die sich jedes Unternehmen stellen sollte:
✅ Haben wir einen festen Ansprechpartner für unsere Azubis?
✅ Gibt es einen Ausbildungsplan, der nicht nur auf dem Papier existiert?
✅ Erhalten unsere Auszubildenden regelmäßiges Feedback?
✅ Dürfen Azubis eigene Ideen einbringen und Projekte leiten?
✅ Gibt es Weiterbildungsangebote oder Exkursionen?
✅ Werden sie auf Prüfungen vorbereitet – und nicht allein gelassen?
✅ Bieten wir eine realistische Übernahmeperspektive?
✅ Haben wir moderne Arbeitsmittel und ein attraktives Arbeitsumfeld?
Und was ist mit der Bürokratie?
Klar, der Weg zum Ausbildungsbetrieb ist nicht ganz ohne Aufwand. Aber er ist machbar – und wird aktiv unterstützt. Ein Beispiel: Für ein Unternehmen in Köln habe ich einmal binnen 72 Stunden nach dem Erstkontakt die Zulassung zur Ausbildung organisiert – in Kooperation mit der IHK. Es geht, wenn man es will.
Die Ausbildereignungsprüfung (AEVO) ist zudem eine wertvolle Erfahrung – sie vermittelt nicht nur pädagogisches Wissen, sondern auch rechtliche und methodische Grundlagen, die im Alltag hilfreich sind.
Worte, die hängen bleiben – von Azubis für Unternehmen
Ich erinnere mich an ein Telefoninterview mit einem Bewerber, der mir sagte:
„Ich arbeite seit meiner Ausbildung bei XYZ – das war immer mein Zuhause.“
Das ist es, worum es geht. Nicht um schnelle Lösungen, sondern um Bindung, um Zugehörigkeit und Entwicklung.
Was bleibt hängen? Ein Plädoyer für mehr Mut zur Ausbildung
Eine ehrliche Ausbildung ist keine Selbstverständlichkeit mehr – leider. Aber sie ist auch keine Utopie. Sie beginnt mit einer Entscheidung: Wollen wir nur Arbeitskräfte – oder wollen wir Menschen entwickeln?
Der Fachkräftemangel ist nicht vom Himmel gefallen. Er ist das Ergebnis einer langen Vernachlässigung dessen, was früher ganz selbstverständlich war: Jungen Menschen etwas beizubringen – mit Respekt, mit Engagement und mit einem klaren Ziel.
Du musst kein Konzern sein, um eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Du brauchst nur den Willen, Verantwortung zu übernehmen – und zu erkennen, dass es sich lohnt. Denn Ausbildung ist keine Pflicht. Sie ist eine Chance – für alle.