Kündigungen gehören zu den unangenehmsten Aufgaben in Unternehmen. Doch kaum ein anderer Bereich im Arbeitsrecht ist so von Halbwissen, Bauchgefühl und gefährlichem Hörensagen durchzogen wie die Kündigung.
Was dürfen wir wirklich? Was ist Wunschdenken? Und welche Mythen halten sich hartnäckig, obwohl das Gesetz längst anderes regelt?
Hier bekommst Du einen klaren Blick durch das Dickicht aus Paragrafen, Gerichtsurteilen und Fehlannahmen. Mit echten Praxisbeispielen, §-Angaben und einem klaren Fokus auf das, was für Unternehmer:innen und HR-Profis heute zählt.
Mythos 1: „In der Probezeit kann man jederzeit ohne Grund kündigen“
Falsch. Eine Kündigung in der Probezeit ist zwar erleichtert – aber kein rechtsfreier Raum.
Was sagt das Gesetz?
Gemäß § 622 Abs. 3 BGB kann das Arbeitsverhältnis während der Probezeit mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Die Probezeit darf maximal sechs Monate dauern (§ 622 Abs. 3 BGB).
Aber:
Auch während der Probezeit gelten die Grundsätze des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das Maßregelungsverbot (§ 612a BGB) und das Mutterschutzgesetz (§ 17 MuSchG).
Beispiel aus der Praxis:
Eine Mitarbeiterin wird zwei Wochen nach Einstellung schwanger. Der Chef kündigt während der Probezeit mit der Begründung „fehlende Motivation“. In Wahrheit geht es ihm um die Schwangerschaft.
➡️ Diese Kündigung ist unwirksam, da ein besonderer Kündigungsschutz greift (§ 17 MuSchG). Außerdem wäre die Kündigung diskriminierend (§ 1 AGG).
Mythos 2: „Man braucht immer einen Kündigungsgrund“
Stimmt – aber nur im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG).
Was sagt das Gesetz?
Das Kündigungsschutzgesetz gilt nur in Betrieben mit mehr als zehn Vollzeitkräften (§ 23 Abs. 1 KSchG) und wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht (§ 1 Abs. 1 KSchG).
Das bedeutet:
In Kleinbetrieben und während der Wartezeit ist eine Kündigung auch ohne Grund möglich – solange sie nicht sittenwidrig oder diskriminierend ist.
Praxisbeispiel:
Ein Startup mit acht Angestellten kündigt einem Mitarbeitenden nach acht Monaten Beschäftigung. Eine Begründung gibt es nicht.
➡️ Die Kündigung ist wirksam, solange sie nicht gegen das AGG oder andere Schutzgesetze verstößt.
Mythos 3: „Kündigung immer schriftlich – oder per E-Mail reicht“
Ganz klar falsch.
Was sagt das Gesetz?
Gemäß § 623 BGB ist die Schriftform vorgeschrieben. Das heißt: Die Kündigung muss handschriftlich unterschrieben auf Papier übergeben oder per Post zugestellt werden.
Wichtig:
Eine Kündigung per E-Mail, WhatsApp oder Fax ist unwirksam – egal wie klar formuliert.
Beispiel:
Ein Arbeitgeber verschickt eine Kündigung per E-Mail mit eingescanntem Anhang.
➡️ Diese Kündigung ist unwirksam. Es fehlt die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform.
Mythos 4: „Einmal krankgeschrieben, ist man vor Kündigung sicher“
Falsch. Krankheit schützt nicht grundsätzlich vor Kündigung – es kommt auf die Umstände an.
Was sagt das Gesetz?
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist möglich, wenn eine negative Gesundheitsprognose besteht und die wirtschaftlichen Belastungen unzumutbar sind (§ 1 Abs. 2 KSchG).
Gerichtsurteil:
Das BAG (Urteil vom 10.05.2012 – 2 AZR 186/11) bestätigt: Auch eine Langzeiterkrankung kann eine Kündigung rechtfertigen, wenn die betrieblichen Interessen stark beeinträchtigt sind.
Beispiel:
Ein Angestellter fällt in drei Jahren insgesamt 15 Monate krankheitsbedingt aus. Der Arbeitgeber dokumentiert die Auswirkungen auf die Abläufe und Kosten.
➡️ Eine Kündigung kann unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein – auch bei Krankheit.
Mythos 5: „Abmahnung ist Pflicht vor jeder Kündigung“
Nicht immer. Es kommt auf die Art der Kündigung an.
Was sagt das Gesetz?
Das Gesetz verlangt nur bei einer verhaltensbedingten Kündigung eine vorherige Abmahnung (§ 314 BGB analog).
Bei betriebsbedingten oder personenbedingten Kündigungen ist keine Abmahnung notwendig.
Beispiel:
Ein Mitarbeitender kommt wiederholt zu spät und wurde bereits abgemahnt. Beim nächsten Vorfall folgt die Kündigung.
➡️ Diese Kündigung ist rechtmäßig, da die Abmahnung zuvor erfolgte.
Aber: Wenn ein Mitarbeiter dauerhaft leistungsschwach ist (personenbedingt), braucht es keine Abmahnung – sehr wohl aber eine nachweisbare Leistungsanalyse.
Mythos 6: „Betriebsbedingte Kündigungen sind immer möglich, wenn Auftragslage schlecht ist“
So einfach ist es nicht.
Was sagt das Gesetz?
Betriebsbedingte Kündigungen müssen nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sein. Das heißt:
- Es muss ein dauerhafter Wegfall des Arbeitsplatzes vorliegen.
- Es muss eine korrekte Sozialauswahl erfolgen.
- Es dürfen keine milderen Mittel zur Verfügung stehen (z. B. Versetzung).
Gerichtsurteil:
Das LAG Hessen (Urteil vom 16.12.2020 – 8 Sa 462/20) hob eine betriebsbedingte Kündigung auf, weil das Unternehmen keine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchgeführt hatte.
Beispiel:
Ein Unternehmen kündigt drei Mitarbeiter:innen wegen Auftragsrückgang, nimmt aber die „unbeliebtesten“.
➡️ Diese Kündigungen können vor Gericht kippen, wenn keine faire Sozialauswahl vorliegt.
Mythos 7: „Ältere Mitarbeitende sind unkündbar“
Nein. Es gibt keinen Kündigungsschutz nur wegen des Alters.
Was sagt das Gesetz?
Ältere Mitarbeitende können im Rahmen der Sozialauswahl sogar bevorzugt geschützt sein (§ 1 Abs. 3 KSchG). Aber es gibt keine grundsätzliche Unkündbarkeit.
Beispiel:
Ein Unternehmen muss sich von zwei Mitarbeitenden trennen – einer 28 Jahre alt, einer 61, aber erst seit einem Jahr im Betrieb.
➡️ Wenn die Sozialauswahl fair und transparent ist, kann auch dem älteren Mitarbeitenden gekündigt werden.
Mythos 8: „Schwangere können überhaupt nicht gekündigt werden“
Fast richtig – aber mit Ausnahmen.
Was sagt das Gesetz?
Schwangere stehen unter besonderem Kündigungsschutz nach § 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG). Eine Kündigung ist nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde möglich – und das in Ausnahmefällen.
Gerichtsurteil:
Das BAG (Urteil vom 12.05.2011 – 2 AZR 384/10) stellt klar: Selbst bei erheblichen Pflichtverstößen ist eine Kündigung ohne behördliche Zustimmung unwirksam.
Beispiel:
Eine schwangere Mitarbeiterin kommt trotz mehrfacher Hinweise nicht zur Arbeit. Der Arbeitgeber kündigt fristlos.
➡️ Diese Kündigung ist nichtig – ohne Zustimmung der Aufsichtsbehörde (§ 17 Abs. 2 MuSchG).
Mythos 9: „Kündigung im Urlaub ist verboten“
Ein weitverbreiteter Irrglaube.
Was sagt das Gesetz?
Es gibt kein gesetzliches Verbot, im Urlaub zu kündigen. Die Kündigung ist wirksam, wenn sie formwirksam ausgesprochen wurde (§ 623 BGB) und dem oder der Mitarbeitenden zugeht (§ 130 BGB).
Beispiel:
Ein Unternehmen schickt die Kündigung per Boten an die Privatadresse, während der Mitarbeitende im Ausland Urlaub macht.
➡️ Die Kündigung gilt als zugegangen, sobald sie im Briefkasten liegt – auch wenn der Empfänger davon nichts weiß.
Mythos 10: „Mitarbeitende mit Behinderung können nicht gekündigt werden“
Nicht korrekt – sie genießen besonderen Schutz, sind aber nicht unkündbar.
Was sagt das Gesetz?
Menschen mit Schwerbehinderung dürfen nur mit Zustimmung des Integrationsamts gekündigt werden (§ 168 SGB IX).
Beispiel:
Ein Unternehmen will einem schwerbehinderten Mitarbeiter betriebsbedingt kündigen.
➡️ Ohne Zustimmung des Integrationsamts ist die Kündigung unwirksam – selbst bei korrekter Sozialauswahl.
Gerichtsurteil:
Das BAG (Urteil vom 13.12.2007 – 2 AZR 613/06) betont, dass der Schutz nicht absolut ist – aber die Zustimmung der Behörde zwingend erforderlich.
Was Du als Unternehmer:in oder HR-Verantwortliche:r daraus mitnehmen solltest
Viele Kündigungsmythen halten sich hartnäckig – auch in Führungsetagen. Sie führen zu kostspieligen Fehlern, unnötigen Kündigungsschutzklagen und Frustration auf beiden Seiten.
💡 Wer Kündigungen professionell vorbereitet, sauber dokumentiert und sich nicht auf Hörensagen verlässt, spart Geld, Nerven und Imageverluste.
Checkliste für Deine nächste Kündigung:
✅ Schriftform eingehalten (Papier, Unterschrift)?
✅ Gilt das Kündigungsschutzgesetz?
✅ Wurde die Sozialauswahl dokumentiert?
✅ Liegt ein besonderer Kündigungsschutz vor?
✅ Bei verhaltensbedingter Kündigung: Abmahnung erfolgt?
✅ Zugang der Kündigung beweisbar?
✅ Prüfung durch internen oder externen Arbeitsrechtsexperten?
Klartext statt Fazit: Kündigung ist kein Bauchgefühl – sondern Rechtsthema
Kündigungen sind keine Racheakte, keine „Befreiungsschläge“ und schon gar kein Spielball der Emotionen. Sie sind ein hochsensibles rechtliches Instrument mit klaren Regeln. Und genau diese Regeln sollte jede Führungskraft kennen – oder sich bei Unsicherheiten Hilfe holen.
Denn wer sauber kündigt, wird selten verklagt. Wer auf Mythen baut, steht oft vor dem Arbeitsgericht.
Rechtlicher Hinweis
Ich bin kein Rechtsanwalt. Dieser Beitrag gibt meine persönlichen Erfahrungen und mein Wissen aus der Praxis wieder und stellt keine Rechtsberatung dar. Für konkrete Fälle solltest Du immer den oder die Fachanwält:in für Arbeitsrecht hinzuziehen oder Deinen Unternehmensjuristen konsultieren.