Wenn der Arbeitsplatz zur Sauna wird
Stell Dir vor: Montagmorgen, 8:30 Uhr. Das Thermometer zeigt schon 28 Grad, draußen scheint die Sonne erbarmungslos. Drinnen im Büro oder in der Werkhalle? Kein Unterschied – stickig, heiß, schwer zu atmen. Die Luft steht, die Konzentration sinkt. Und trotzdem wird gearbeitet, geschwitzt, gerödelt. Weil’s eben „nicht anders geht“. Oder?
Ganz ehrlich: Arbeiten bei Temperaturen über 30 Grad ist kein Spaß – weder für den Körper noch für den Kopf. Und spätestens dann stellt sich die Frage: Muss das wirklich sein? Und was ist rechtlich eigentlich erlaubt? Welche Pflichten habt Ihr als Arbeitgeber? Und wie könnt Ihr Eure Mitarbeitenden (und Euch selbst!) effektiv schützen, ohne dass die Produktivität komplett baden geht?
Hier kommen Antworten, die nicht nur rechtlich aufklären, sondern auch zeigen: Hitzeschutz ist keine Spielerei. Es ist eine echte Führungsaufgabe – und eine Frage der Wertschätzung.
1. Gesetzliche Grundlagen – was sagt das Arbeitsrecht?
Wenn die Temperaturen klettern, kommen auch die arbeitsrechtlichen Regelungen ins Schwitzen. Aber es gibt sie – und sie sind klar definiert.
Arbeitsstättenregel ASR A3.5 – Raumtemperatur
Die wichtigste gesetzliche Grundlage ist die Arbeitsstättenregel ASR A3.5 „Raumtemperatur“. Diese gibt vor, wie warm es in Arbeitsräumen sein darf – und was passiert, wenn die Temperatur über bestimmte Grenzen steigt.
Ein paar harte Fakten:
- Die Raumtemperatur sollte 26°C nicht überschreiten, wenn draußen bis zu 26°C sind.
- Ab 30°C müssen Arbeitgeber geeignete Maßnahmen treffen, um die Belastung zu reduzieren.
- Ab 35°C gilt ein Raum ohne technische Gegenmaßnahmen (z. B. Klimaanlage) nicht mehr als geeigneter Arbeitsraum – sprich: Dort darf ohne Schutz niemand mehr arbeiten.
Diese Regel ist zwar „nur“ eine Arbeitsstättenregel – aber sie konkretisiert die Arbeitsstättenverordnung (§ 3a ArbStättV), und wer sich nicht daran hält, verstößt gegen geltendes Arbeitsschutzrecht.
ArbSchG – das Arbeitsschutzgesetz
Auch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet Unternehmer, die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen. Nach § 4 ArbSchG müssen Arbeitsbedingungen so gestaltet sein, dass Gefährdungen möglichst vermieden werden – dazu gehört natürlich auch die Hitze.
Kombiniert mit den ASR-Regelungen bedeutet das: Ignorieren ist keine Option. Es besteht eine klare Pflicht zum Handeln.
2. Gerichtsurteile zum Thema Hitze
Urteil 1: LAG Berlin-Brandenburg, Az. 10 Sa 86/10
In diesem Fall ging es um einen Büroangestellten, der bei über 30°C nicht mehr arbeiten wollte und früher nach Hause ging. Der Arbeitgeber sprach eine Abmahnung aus – zu Unrecht, wie das Landesarbeitsgericht urteilte. Bei unerträglicher Hitze sei eine Weiterarbeit unzumutbar, sofern keine Schutzmaßnahmen getroffen werden.
Kernaussage: Arbeitgeber müssen bei Hitze handeln – tun sie es nicht, kann ein Hitzefrei durch die Hintertür arbeitsrechtlich zulässig sein.
Urteil 2: BAG, Az. 5 AZR 245/21
Ein Arbeitgeber hatte keine Maßnahmen zur Hitzeminderung in der Produktionshalle getroffen, obwohl die Raumtemperatur regelmäßig über 35°C stieg. Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass eine solche Belastung nicht akzeptabel sei und der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitsbedingungen anzupassen – bis hin zur Umgestaltung der Arbeitszeit.
3. Gesundheitliche Risiken – was die Hitze mit dem Körper macht
Wer bei über 30 Grad arbeitet, mutet seinem Körper einiges zu. Das ist nicht nur unangenehm, sondern kann ernsthafte gesundheitliche Folgen haben:
- Konzentrationsschwäche: Schon ab 26 Grad nimmt die Konzentrationsfähigkeit rapide ab – Fehler, Unfälle und Missverständnisse häufen sich.
- Kreislaufprobleme: Hitze erweitert die Blutgefäße, der Blutdruck sinkt – Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit sind die Folge.
- Hitzschlag & Dehydrierung: Besonders gefährlich, wenn zu wenig getrunken wird. Der Körper überhitzt, Organe werden geschädigt, im schlimmsten Fall droht Bewusstlosigkeit.
- Langzeitbelastung: Dauerhafte Hitze führt zu chronischer Erschöpfung, Schlafproblemen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Ein Beispiel aus der Praxis: In einem Produktionsbetrieb in NRW wurde bei einer Hitzewelle über Wochen hinweg bei bis zu 38 Grad gearbeitet – ohne Ventilatoren oder verkürzte Arbeitszeiten. Zwei Mitarbeitende mussten notärztlich behandelt werden. Das Unternehmen wurde später vom Gewerbeaufsichtsamt verwarnt.
Fazit: Hitzeschutz ist Gesundheitsschutz. Punkt.
4. Pflichten für Arbeitgeber – was muss getan werden?
Hier sind die wichtigsten Maßnahmen, die Arbeitgeber bei über 30 Grad treffen müssen – nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus menschlicher Sicht:
Sofortmaßnahmen ab 30 Grad:
- Lockerung der Kleiderordnung (wenn sicherheitsrelevant vertretbar)
- Bereitstellung von Getränken (idealerweise Wasser mit Elektrolyten)
- Ventilatoren oder mobile Klimageräte
- Jalousien oder Fensterfolien gegen direkte Sonneneinstrahlung
- Reduzierung körperlich schwerer Arbeiten
Erweiterte Maßnahmen ab 35 Grad:
- Verlagerung der Arbeitszeiten in die kühleren Morgenstunden
- Verkürzte Arbeitszeiten / mehr Pausen
- Homeoffice ermöglichen, wo möglich
- Freistellung von besonders gefährdeten Personen, z. B. Schwangere oder Mitarbeitende mit Vorerkrankungen
Tipp: Diese Maßnahmen können auch mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit und dem Betriebsarzt abgestimmt werden – sie kennen die spezifischen Risiken am besten.
5. Praxisbeispiel: Hitzeschutz in der Lagerhalle
Ein Logistikunternehmen in Süddeutschland mit 80 Mitarbeitenden hatte im Sommer 2023 ein echtes Problem: In der Halle wurden regelmäßig 36 Grad erreicht, Schweiß tropfte schon beim Ausladen der LKWs. Nach mehreren Beschwerden entschied sich die Geschäftsführung zu handeln – und zwar vorbildlich:
- Umrüstung auf LED-Leuchten (geringere Wärmeentwicklung)
- Flexible Arbeitszeiten von 5 bis 12 Uhr, danach Hitzepause
- Bereitstellung von Getränken, Salzgebäck und Ventilatoren
- Einführung eines „Hitzewarnsystems“ per App
Ergebnis: Deutlich weniger Krankmeldungen, mehr Zufriedenheit, höhere Produktivität am Morgen.
Das Unternehmen wurde später sogar für seinen vorbildlichen Umgang mit Hitzeschutz vom Verband ausgezeichnet. So geht’s auch.
6. Und wenn nichts passiert? Rechte der Mitarbeitenden
Auch Beschäftigte sind nicht rechtlos, wenn Arbeitgeber ihre Pflichten missachten:
- Sie können sich an den Betriebsrat wenden
- Gefährdungsanzeigen erstellen und dokumentieren
- Beim Gewerbeaufsichtsamt oder der Berufsgenossenschaft Beschwerde einreichen
- Als letztes Mittel: Arbeitsverweigerung bei unzumutbarer Hitze – aber Vorsicht, das sollte rechtlich gut abgestützt sein
Besser: Die Belegschaft frühzeitig in Schutzmaßnahmen einbinden. Wer sich gehört fühlt, handelt loyal – auch in der Hitzewelle.
7. Arbeitgeberpflicht oder Fürsorge? Beides!
Wer seine Leute bei über 30 Grad schwitzen lässt, ohne zu reagieren, spart kurzfristig Geld – und verliert langfristig Mitarbeitende. Denn was viele vergessen: Wertschätzung zeigt sich nicht nur beim Gehalt oder im Jahresgespräch, sondern auch an ganz heißen Tagen.
Moderner Arbeitsschutz ist aktive Arbeitgebermarke. Wer sich kümmert, gewinnt. Wer ignoriert, verliert – und zwar schneller, als man bei 36 Grad einen Kaffee ausgetrunken hat.
Anders gedacht: Hitze als Chance
Vielleicht ist eine Hitzewelle auch eine Gelegenheit, Dinge grundsätzlich zu hinterfragen:
- Brauchen wir wirklich Präsenzpflicht bei 34 Grad?
- Könnten wir Sommerarbeitszeiten einführen?
- Ist Homeoffice vielleicht doch effizienter?
- Warum nicht Siesta-Zeit wie in Südeuropa?
Manche Unternehmen denken bereits so. Und sie sind attraktiv für Talente – auch bei 38 Grad im Schatten.
Kein Rechtsrat – nur meine Erfahrung
Ich bin kein Rechtsanwalt. Dieser Beitrag basiert auf meiner Erfahrung und meinem Wissen als Personalberater:in. Für individuelle arbeitsrechtliche Fragen solltest Du auf jeden Fall Eure:n Fachanwält:in für Arbeitsrecht hinzuziehen. Es geht hier nicht um Paragrafenreiterei – sondern um fairen, gesunden und verantwortungsvollen Umgang mit den Menschen, die für Euch arbeiten.
Hitzefrei? Führungsfrage!
Hitze am Arbeitsplatz ist nicht nur eine Frage von Raumtemperatur – es ist eine Frage von Haltung. Wer heute verantwortungsvoll mit steigenden Temperaturen umgeht, schützt nicht nur die Gesundheit seiner Mitarbeitenden, sondern beweist: Wir nehmen Fürsorgepflicht ernst. Und das ist längst keine Option mehr, sondern Teil moderner Unternehmenskultur.
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