Stell Dir vor, Du bist seit Jahren in einem Unternehmen. Loyal, zuverlässig, kaum krank. Du arbeitest sogar während Corona mit Symptomen von zu Hause aus weiter, schreibst Deine Überstunden nicht auf, weil Du den Teamgeist stärken willst – und dann: Zack. Kündigung aus heiterem Himmel.
Du denkst erst: Was hab ich falsch gemacht? Suchst den Fehler bei Dir. Aber der liegt oft ganz woanders. Nämlich im Unternehmen. Denn: Es gibt sie leider immer noch – Firmen ohne ordentliche Offboarding- oder Exit-Kultur. Und in denen schiebt man das Personalbüro vor, wenn es ernst wird. Keine Wertschätzung, kein Respekt, keine Haltung.
Dabei ginge es auch anders. Wenn man miteinander ins Gespräch kommt, ehrlich ist, transparent, dann kann man sich auf Augenhöhe trennen. Und das kann sogar eine neue Chance sein. Wie meine Oma immer gesagt hat: Wenn sich eine Tür schließt, geht irgendwo eine neue auf.
Aber jetzt zum eigentlichen Thema: Abfindung.
Abfindung – was eigentlich?
Für manche Arbeitgeber scheint das ein Fremdwort zu sein. Fast schon ein Schimpfwort. Dabei ist eine Abfindung nichts anderes als ein finanzieller Ausgleich. Kein Geschenk. Kein Bonus. Sondern ein Stück Gerechtigkeit für jahrelange Loyalität, Engagement, unbezahlte Mehrarbeit, Überstunden, Kundengewinnung, Umsatzsteigerung – für Leistung, die über das normale Maß hinausging.
Trotzdem kommt es oft vor, dass genau diese Arbeitgeber in dem Moment, wo’s ernst wird, ganz schnell geizig werden.
Mein Beispiel: 3 gegen 1 vor Gericht
Ich erinnere mich gut: Vor über zehn Jahren stand ich selbst mal in einem Kündigungsschutzverfahren. Ich – mit meinem Anwalt, den ich vom Laufen kannte. Mein ehemaliger Arbeitgeber? Kam gleich mit drei Top-Anwälten einer großen Beratungskanzlei mit vier Buchstaben. Einschüchterung pur.
Aber: Noch vor dem ersten Richterkontakt kam der Deal. Die Anwälte flüsterten kurz, nannten mir eine fünfstellige Summe – und ich stimmte zu. Nicht, weil ich’s nicht verdient hätte, sondern weil ich wusste: Jeder weitere Schritt hätte beiden Seiten noch mehr gekostet. An Nerven, an Geld, an Image.
Gerichtskosten, Anwaltskosten, Reputationsschäden – das dicke Ende kommt noch
Die Realität zeigt: Viele Unternehmen machen sich nicht klar, was sie ein Kündigungsschutzprozess kosten kann. Hier ein Rechenbeispiel:
- Durchschnittliches Monatsgehalt: 4.000 Euro
- Abfindung nach 4 Jahren Betriebszugehörigkeit: 2 Monatsgehälter = 8.000 Euro
- Anwaltskosten (je Seite bei durchschnittlichem Streitwert): ca. 2.000 Euro
- Gerichtskosten: ca. 800 Euro
- Interne Kosten (Personalabteilung, Abstimmungen, Reputation): nicht bezifferbar, aber relevant
Gesamtkosten ohne frühzeitige Einigung: 12.800 Euro + X
Hätte man sich vorher auf 8.000 Euro geeinigt – hätte man sich locker 5.000 Euro gespart. Und das ohne den Imageschaden, wenn ein enttäuschter Ex-Mitarbeitender sein Netzwerk informiert.
Statistik: So häufig endet es vor Gericht
Laut Arbeitsstatistiken wurden allein im Jahr 2024 über 420.000 Kündigungsschutzklagen bei deutschen Arbeitsgerichten eingereicht. Davon endeten rund 77 % bereits in der Güteverhandlung – also mit einem Vergleich. In über 85 % der Fälle wurde eine Abfindung gezahlt.
In den letzten drei Jahren wurden geschätzt über 2,4 Milliarden Euro an Abfindungen in Deutschland gezahlt. Das ist nicht nur ein betriebswirtschaftliches Thema – das ist ein strukturelles Thema.
Und das Wichtigste: Die Arbeitsgerichte urteilen häufig arbeitnehmerfreundlich. Wer als Arbeitgeber hier immer wieder negativ auffällt, riskiert nicht nur Geld – sondern auch sein Ansehen auf dem Arbeitsmarkt.
Gerichtsurteile, die zeigen, wie kritisch das Thema ist
- LAG Düsseldorf (2022): Ein langjähriger Mitarbeiter bekam 6 Monatsgehälter zugesprochen, da der Arbeitgeber die Kündigung schlecht vorbereitet hatte und keine Einigung vorab gesucht wurde.
- BAG (2023): Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass eine mangelhafte Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung die Zahlung einer Abfindung notwendig macht – obwohl keine Pflicht zur Abfindung im Gesetz steht.
Diese Urteile zeigen: Wer unvorbereitet in die Trennung geht, zahlt drauf.
Vorteile und Nachteile für Unternehmen: Abfindung bewusst einsetzen
Vorteile:
- Ruhige Trennung statt öffentlicher Streit
- Geringere Verfahrenskosten
- Schutz der Arbeitgebermarke
- Planbare finanzielle Belastung
- Mitarbeiterbindung durch gute Kultur (Signale an verbleibende Belegschaft)
Nachteile:
- Direkte finanzielle Belastung
- Signalwirkung an andere Mitarbeitende („Ich kann auch Abfindung bekommen“)
- Kurzfristig Aufwand in der Abwicklung
- Mögliche Steuerlast, wenn schlecht geplant
Checkliste für Unternehmen: So geht Trennung fair und strategisch
- Offboarding-Prozess definieren – mit klaren Verantwortlichkeiten
Beispiel 1: In einem mittelständischen Maschinenbauunternehmen ist festgelegt, dass bei jeder Kündigung automatisch die Personalabteilung, der direkte Vorgesetzte und die IT informiert werden, damit alles koordiniert abläuft.
Beispiel 2: Ein Softwareunternehmen nutzt ein internes Workflow-Tool, das bei Kündigungen automatisch Checklisten für Rückgabe von Arbeitsmitteln, Zugangsberechtigungen und Abschlussgespräche generiert. - Exit-Gespräche führen – respektvoll, offen und mit Haltung
Beispiel 1: Ein Teamleiter führt das erste Gespräch mit dem oder der Mitarbeitenden selbst, um den Schritt zu erklären und Feedback zu ermöglichen, bevor weitere Schritte folgen.
Beispiel 2: In einem Unternehmen für kreative Dienstleistungen wird ein Exit-Interview mit einem externen Coach geführt, um ehrliches Feedback ohne interne Filter zu erhalten. - Abfindungsrichtlinien aufstellen – fair, nachvollziehbar, verlässlich
Beispiel 1: Ein Unternehmen kommuniziert intern klar, dass bei betriebsbedingten Kündigungen pro volles Beschäftigungsjahr ein halbes Monatsgehalt gezahlt wird – transparent und einheitlich.
Beispiel 2: In einer Agentur gilt: Wer mehr als fünf Jahre beschäftigt war und an großen Projekten mitgearbeitet hat, bekommt einen zusätzlichen Bonus zur Abfindung. - Anwaltliches Risiko prüfen – bevor die Kündigung erfolgt
Beispiel 1: In einem Familienbetrieb wird bei jeder Kündigung durch die Rechtsabteilung geprüft, ob eine Sozialauswahl korrekt erfolgt ist.
Beispiel 2: Ein Konzern lässt kritische Kündigungen vorab durch eine externe Fachkanzlei prüfen, um Prozessrisiken zu minimieren. - Kalkulation der Folgekosten machen – inkl. Image- und Reputationsrisiken
Beispiel 1: Eine Personalabteilung erstellt eine Kostenübersicht, in der nicht nur Abfindung und Anwaltskosten, sondern auch potenzielle Recruitingkosten für Ersatzkräfte enthalten sind.
Beispiel 2: In einem Tech-Startup wird bei jeder Kündigung analysiert, wie hoch die Gefahr negativer Bewertungen auf Arbeitgeberplattformen ist und was dies für den Talentmarkt bedeutet. - Frühzeitig auf Einigung setzen – bevor es vor Gericht landet
Beispiel 1: Eine HR-Leitung ruft den Mitarbeitenden nach der ersten Ankündigung an und signalisiert Gesprächsbereitschaft über Konditionen, um eine Klage zu vermeiden.
Beispiel 2: Bei drohenden Trennungen bietet ein Unternehmen sofort ein außergerichtliches Mediationsgespräch an, das von einer neutralen dritten Person moderiert wird. - Mitarbeitenden Angebote machen – Transfergesellschaft, Coaching, Perspektiven
Beispiel 1: Ein produzierendes Unternehmen bietet scheidenden Mitarbeitenden eine einmonatige Begleitung durch eine Transfergesellschaft, um neue Jobmöglichkeiten zu erschließen.
Beispiel 2: Ein Medienunternehmen stellt auf Wunsch einen externen Karrierecoach zur Verfügung, der Bewerbungsunterlagen optimiert und auf Vorstellungsgespräche vorbereitet. - Kommunikation intern abstimmen – Führungskräfte schulen
Beispiel 1: Vor einer größeren Umstrukturierung schult ein Unternehmen alle Führungskräfte im Umgang mit Trennungsprozessen und bereitet Gesprächsleitfäden vor.
Beispiel 2: In einem Handwerksbetrieb erklärt der Geschäftsführer allen Teamleitern in einer Besprechung persönlich, wie man Kündigungen transparent und empathisch kommuniziert. - Learnings aus jedem Fall ziehen – kontinuierliche Verbesserung
Beispiel 1: Nach jedem Offboarding werden in einem Logistikunternehmen kurze Review-Workshops durchgeführt, in denen das HR-Team dokumentiert, was gut und was schlecht lief.
Beispiel 2: Ein mittelständisches Unternehmen wertet regelmäßig die Ergebnisse der Exit-Interviews aus und passt die Führungs- und Onboardingprozesse entsprechend an.
Diese Checkliste mit konkreten Praxisbeispielen zeigt: Eine faire Trennung ist kein Zufall, sondern Ergebnis klarer Strukturen, bewusster Entscheidungen und echter Haltung.
Was viele nicht wissen: Seit 2025 neue gesetzliche Orientierung
Ein kleiner Teaser am Rande: Seit 2025 gilt eine neue Empfehlungslinie für Abfindungen bei betriebsbedingten Kündigungen. Die Faustregel: Zwei Monatsgehälter pro vier Jahre Betriebszugehörigkeit. Auch wenn das rechtlich nicht bindend ist – Gerichte orientieren sich daran.
Wer sich also weigert, wenigstens diese Mindesthöhe anzubieten, riskiert es, am Ende viel mehr zahlen zu müssen.
Und noch was zum Schluss: Geiz kann richtig teuer werden
Ich bleibe bei meiner Meinung: Wer gute Leute verliert, muss sich fair verabschieden. Alles andere ist kontraproduktiv. Die Welt ist vernetzt, Bewertungsplattformen sind öffentlich, Talente informieren sich. Wer hier spart, verliert doppelt: Geld und Glaubwürdigkeit.
Man kann Fehler machen. Aber man sollte sie nicht zweimal machen. Und man sollte schon gar nicht vergessen: Menschen sind keine Zahlen.
Neue Perspektive statt Fazit: Was willst Du als Arbeitgeber hinterlassen?
Willst Du, dass Deine Ex-Mitarbeitenden sagen: „Das war hart, aber fair.“ Oder willst Du, dass sie erzählen, wie sie aus dem Unternehmen rausgedrängt wurden wie ein kaputtes Möbelstück?
Wie Du als Arbeitgeber wahrgenommen wirst, entscheidet sich oft in den letzten Wochen der Zusammenarbeit. Eine Abfindung ist nicht nur ein finanzieller Faktor. Sie ist ein Symbol.
Und manchmal entscheidet dieses Symbol, wie viele neue Talente sich morgen noch bei Dir bewerben.