Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers im Falle eines Streiks des ÖPNV: Was Unternehmer und Personalverantwortliche wissen müssen


Ein plötzlicher Streik des öffentlichen Personennahverkehrs (kurz: ÖPNV) bringt nicht nur den Berufsverkehr durcheinander, sondern auch die Abläufe in Unternehmen. Für Arbeitgeber stellt sich dabei schnell die Frage: Welche Rechte und Pflichten haben Arbeitnehmer, wenn Busse und Bahnen stillstehen? Und wie sollten Personalverantwortliche mit solchen Situationen umgehen?

In diesem Blogbeitrag gehe ich genau diesen Fragen nach. Mit praxisnahen Beispielen, einem Blick in die Gesetzestexte und wichtigen Urteilen aus der Rechtsprechung möchte ich Dir als Unternehmer oder Personaler eine fundierte Orientierung geben – und ganz nebenbei auch Deine HR-Kompetenz auf ein neues Level heben.

1. Grundsätzliches: Arbeitsweg ist Privatsache des Arbeitnehmers

So hart es klingt: Der Weg zur Arbeit liegt in der Verantwortung des Arbeitnehmers. Das bedeutet, dass ein Streik im ÖPNV grundsätzlich kein Entschuldigungsgrund für das Zuspätkommen oder Fernbleiben ist.

Gesetzliche Grundlage:

  • Aus dem sogenannten „Betriebsrisikoprinzip“ gemäß § 615 BGB folgt: Kann der Arbeitnehmer nicht arbeiten, weil der Arbeitgeber den Betrieb nicht aufrechterhalten kann, erhält er trotzdem Lohn. Aber: Wenn der Arbeitnehmer selbst nicht zur Arbeit erscheint (aus welchen Gründen auch immer), fällt dieser Schutz weg.

Gerichtsurteil:

  • Das Arbeitsgericht Kiel (Az. 5 Ca 80 c/03) entschied bereits 2003, dass Arbeitnehmer, die aufgrund eines Verkehrschaos durch ÖPNV-Ausfall zu spät kommen, keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben.

Fazit: Der Streik entbindet den Arbeitnehmer nicht von seiner Pflicht zur Arbeitsaufnahme. Unternehmer und HR-Abteilungen sollten das klar kommunizieren.

2. Lohnkürzung bei Verspätung oder Fernbleiben

Wenn der Arbeitnehmer verspätet erscheint oder gar nicht kommt, obwohl der Betrieb geöffnet ist, gilt: Kein Lohn ohne Arbeit – gemäß dem Leistungsgedanken aus § 326 Abs. 1 BGB.

Fallbeispiel aus der Praxis: Ein Mitarbeiter im Schichtbetrieb verpasst wegen des Streiks den Arbeitsbeginn um zwei Stunden. Der Arbeitgeber darf diese zwei Stunden vom Gehalt abziehen. Ebenso können Gleitzeit- oder Minusstunden entstehen, sofern ein entsprechendes Arbeitszeitkonto geführt wird.

Wichtig für Personalverantwortliche: Die betriebliche Regelung zur Zeiterfassung sollte solche Fälle sauber abbilden. Transparenz hilft, unnötige Konflikte zu vermeiden.

3. Zumutbare Alternativen: Was kann der Arbeitnehmer tun?

Arbeitnehmer sind verpflichtet, zumutbare Alternativen zum ÖPNV zu prüfen. Das kann bedeuten:

  • Fahrgemeinschaften bilden
  • Fahrrad oder E-Scooter nutzen
  • Taxi (wenn wirtschaftlich zumutbar)
  • Früher aufbrechen
  • Mit dem Auto fahren

Urteil des LAG Rheinland-Pfalz (Az. 10 Sa 12/09): Das Gericht entschied, dass einem Arbeitnehmer auch eine längere Anfahrt mit dem Fahrrad zumutbar sei, wenn keine gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen.

Aber Achtung: Eine Zumutbarkeit ist immer einzelfallabhängig. Bei gesundheitlichen Einschränkungen, großer Entfernung oder familiären Verpflichtungen kann eine andere Bewertung erfolgen.

4. Homeoffice als Lösung?

Wenn der Streik absehbar ist, können Arbeitgeber in Absprache mit den Mitarbeitenden Homeoffice ermöglichen. Doch gibt es keinen gesetzlichen Anspruch auf Arbeiten von Zuhause – es sei denn, dies ist im Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder per individueller Absprache geregelt.

HR-Tipp: Eine flexible Homeoffice-Regelung im Arbeitsvertrag schafft Klarheit für solche Ausnahmesituationen. Auch temporäre Kulanzregelungen sind denkbar, sollten aber dokumentiert werden.

5. Was gilt für Eltern, deren Kinderbetreuung ebenfalls ausfällt?

Nicht selten führt ein ÖPNV-Streik auch zur Schließung von Kitas, weil Erzieher nicht zur Arbeit kommen. Dann entsteht ein weiteres Problem: Eltern können ihre Kinder nicht betreuen und bleiben zuhause.

Rechtslage: In solchen Fällen greift nicht automatisch § 616 BGB (kurzzeitige Verhinderung mit Lohnfortzahlung), wenn im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag dieser Paragraph ausgeschlossen wurde – was heutzutage oft der Fall ist.

Praxisbeispiel: Eine Mitarbeiterin bleibt zwei Tage zu Hause, weil die Kita geschlossen ist. Ist § 616 BGB ausgeschlossen, muss sie Urlaub nehmen oder unbezahlt freigestellt werden.

HR-Hinweis: Sensible Kommunikation ist hier wichtig. Wer kulant ist, gewinnt Loyalität. Wer auf Paragraphen pocht, riskiert Frustration.

6. Abmahnung bei wiederholter Verspätung?

Grundsätzlich kann eine Abmahnung nur erfolgen, wenn ein schuldhaftes Verhalten vorliegt. Bei einem plötzlichen Streik ist das in der Regel nicht der Fall. Anders sieht es aus, wenn Mitarbeitende sich nicht um Alternativen bemüht haben oder wiederholt auffallen.

Gerichtsurteil:

  • Das LAG Berlin-Brandenburg (Az. 10 Sa 86/10) stellte klar: Wer keinerlei Bemühung zeigt, trotz vorhersehbarem Verkehrschaos pünktlich zur Arbeit zu kommen, muss mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen.

HR-Tipp: Dokumentation ist alles. Wer eine Abmahnung ausspricht, sollte den Sachverhalt genau protokollieren.

7. Was ist mit Verspätungen durch Kindertransport, Umleitungen oder Chaos auf den Straßen?

Hier wird es spannend: Auch wenn der Arbeitnehmer mit dem Auto fährt, kann der Streik indirekte Auswirkungen haben (Staus, Parkplatznot etc.). Aber auch hier gilt: Das Wegerisiko liegt beim Arbeitnehmer.

Rechtsgrundlage: Keine andere Regelung als bei direktem ÖPNV-Ausfall. Auch bei Verkehrschaos aufgrund eines Streiks gilt: Kein Lohnanspruch ohne Arbeitsleistung.

Fallbeispiel: Ein Mitarbeiter kommt an zwei Tagen je 30 Minuten zu spät, weil er seine Kinder zur Schule bringen muss und durch Stau behindert wurde. Ohne Nachweis eines unzumutbaren Sonderfalls liegt die Verantwortung beim Arbeitnehmer.

8. Kommunikation als Schlüssel: Wie HR mit dem Thema umgehen sollte

Gerade in angespannten Zeiten wie einem ÖPNV-Streik zeigt sich, wie gut eine HR-Abteilung aufgestellt ist. Proaktive Kommunikation ist hier der Gamechanger.

Praktische Tipps:

  • Frühzeitige Mails mit Handlungsempfehlungen senden
  • Homeoffice-Möglichkeiten prüfen
  • Klare Regeln zur Zeiterfassung kommunizieren
  • Gesprächsangebote machen
  • Kulanz zeigen, ohne die Grundsätze zu unterlaufen

Mein persönliches Fazit: Zwischen Recht, Praxis und gesunder Menschenverstand

Ein ÖPNV-Streik ist nicht die Schuld des Arbeitgebers – aber auch nicht die des Mitarbeitenden. Umso wichtiger ist es, dass beide Seiten verantwortungsvoll mit der Situation umgehen. Arbeitgeber sollten rechtssicher handeln, aber gleichzeitig empathisch bleiben. Arbeitnehmer müssen ihre Pflicht kennen und Alternativen ernsthaft prüfen.

Wer die Balance zwischen arbeitsrechtlicher Klarheit und menschlicher Flexibilität hält, schafft Vertrauen – und eine Unternehmenskultur, die auch Krisen meistert.

Disclaimer: Dieser Blogbeitrag wurde nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und basiert auf allgemein zugänglichen rechtlichen Grundlagen sowie meiner Erfahrung im HR-Umfeld. Ich bin kein Rechtsanwalt. Bitte ziehe bei konkreten Einzelfällen immer den Firmenanwalt für Arbeitsrecht hinzu.