Mündliche Zusagen im Vorstellungsgespräch: Rechtliche Risiken und was Unternehmen daraus lernen können
Es ist ein Moment, der für Bewerber:innen alles verändert: Im Vorstellungsgespräch fallen Sätze wie „Wir freuen uns, wenn Sie ab dem 1. Juli bei uns anfangen!“ oder „Das passt, Sie sind unser Wunschkandidat!“. Euphorie macht sich breit – auf beiden Seiten. Doch was passiert, wenn sich die Stimmung danach ändert und plötzlich doch eine Absage verschickt wird? Welche rechtlichen Risiken birgt eine solche Vorgehensweise für Arbeitgeber? Und wie sollten Unternehmer:innen sowie Personalverantwortliche mit mündlichen Zusagen umgehen?
In diesem Beitrag nehme ich dich mit durch die rechtliche Lage, zeige dir anhand realitätsnaher Fallbeispiele, wie schnell Missverständnisse entstehen können, und biete dir praxisnahe Empfehlungen, wie du dein Unternehmen vor unnötigem Ärger schützt. Denn eine unüberlegte Aussage im Interview kann juristische Konsequenzen nach sich ziehen – auch wenn sie „nur nett gemeint“ war.
Mündliche Zusage – Was ist das überhaupt?
Der Begriff „mündliche Zusage“ beschreibt eine Erklärung im Bewerbungsgespräch, die beim Bewerber den Eindruck hinterlässt, dass der Job sicher sei. Häufig ist das nicht als bindendes Jobangebot gemeint, sondern als positive Rückmeldung oder spontane Begeisterung – doch juristisch betrachtet kann darin bereits ein Arbeitsvertrag liegen.
Arbeitsvertrag auch ohne Schriftform?
Ja! Nach deutschem Recht ist ein Arbeitsvertrag grundsätzlich formfrei möglich – also auch mündlich oder durch konkludentes (schlüssiges) Handeln (§ 105 GewO, § 611a BGB). Das bedeutet: Wenn sich zwei Parteien über die wesentlichen Vertragsinhalte einig sind – insbesondere über Arbeitszeit, Vergütung und Beginn –, kann ein Vertrag auch ohne Unterschrift zustande kommen.
Fallbeispiel 1: Der euphorische Geschäftsführer
Ein Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens führt ein Vorstellungsgespräch mit einer Kandidatin. Begeistert sagt er zum Ende des Gesprächs:
„Wir brauchen Sie wirklich dringend. Ich kläre das intern noch, aber Sie können sich den 1. September schon mal vormerken!“
Die Bewerberin sagt daraufhin ihre andere Option ab, kauft neue Arbeitskleidung und gibt sogar ihre Wohnung in Berlin auf, um in die Nähe des neuen Jobs zu ziehen. Zwei Wochen später erhält sie eine E-Mail: Die Position wurde intern anderweitig besetzt.
Rechtlich relevant?
Durch die Aussage des Geschäftsführers könnte ein vorvertragliches Schuldverhältnis oder sogar ein Arbeitsvertrag entstanden sein. Auch wenn kein schriftlicher Arbeitsvertrag unterzeichnet wurde, kann die Bewerberin unter Umständen Schadensersatz verlangen – etwa für Umzugskosten oder entgangene Chancen.
Die rechtliche Einordnung: Drei Stufen der rechtlichen Bindung
Damit du als Arbeitgeber oder Personaler gut einschätzen kannst, was deine Worte auslösen (und kosten) können, hier ein Überblick über die juristischen Stufen:
1. Unverbindliche Gesprächssituation
Die meisten Vorstellungsgespräche sind in dieser Phase. Solange keine konkreten Aussagen zur Einstellung fallen, liegt kein rechtlicher Anspruch auf Beschäftigung vor. Vorsicht: Auch freundlich gemeinte Bemerkungen können missverstanden werden.
2. Vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB)
Wenn dem Bewerber ein berechtigter Vertrauenstatbestand vermittelt wurde – z. B. durch konkrete Zusagen zu Beginn, Aufgabenbereich, Gehalt und Eintrittsdatum –, kann ein culpa in contrahendo-Verhältnis entstehen.
Wird dieses Vertrauen enttäuscht, kann Schadensersatz fällig werden – allerdings nur bei nachweisbarem Verschulden.
3. Zustandekommen eines Arbeitsvertrags (§ 611a BGB)
Ein Arbeitsvertrag ist auch ohne Unterschrift möglich. Entscheidend ist, ob Einigkeit über die Hauptpflichten bestand. Sagt der Arbeitgeber im Gespräch sinngemäß: „Sie sind eingestellt, wir schicken Ihnen den Vertrag in den nächsten Tagen“, kann das schon ein bindendes Vertragsangebot sein. Eine spätere Absage könnte dann ein Vertragsbruch sein.
Fallbeispiel 2: Die HR-Managerin unter Druck
In einem größeren Konzern verspricht eine HR-Managerin im dritten Interview:
„Wir schicken Ihnen morgen das Vertragsangebot. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben uns überzeugt!“
Aufgrund interner Budgeteinsparungen wird der neue Mitarbeiter jedoch nie eingestellt. Der Bewerber klagt – mit Erfolg.
Urteil:
Das Landesarbeitsgericht Köln (Az. 7 Sa 857/18) entschied in einem ähnlichen Fall, dass ein Arbeitsvertrag bereits zustande gekommen sei. Die Formulierung im Gespräch sei eindeutig gewesen und der Bewerber habe berechtigt darauf vertraut. Der Arbeitgeber wurde zu Schadensersatz verpflichtet.
Wichtige Gerichtsurteile im Überblick
- LAG Köln, Urteil vom 23.05.2019 – 7 Sa 857/18
Das Gericht sah eine mündliche Zusage als bindenden Arbeitsvertrag. Es ging um einen Bewerber, dem am Ende des Interviews deutlich gemacht wurde, dass er die Stelle bekommen habe. Die spätere Absage war rechtswidrig. - LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.01.2021 – 4 Sa 27/20
Ein Bewerber erhielt mündlich die Zusage, verließ sich darauf und erlitt wirtschaftliche Nachteile. Die Richter sahen eine Verletzung vorvertraglicher Pflichten und sprachen ihm Schadensersatz zu. - BAG, Urteil vom 03.07.2003 – 8 AZR 302/02
Hier wurde festgestellt, dass bereits durch schlüssiges Verhalten – wie etwa die Übergabe von Arbeitsmitteln oder das Einrichten eines Arbeitsplatzes – ein Arbeitsvertrag zustande kommen kann.
Die Praxisfalle: Gut gemeint ist nicht gut gemacht
Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels neigen viele Arbeitgeber dazu, Bewerber emotional zu binden – etwa durch euphorische Aussagen oder symbolische Gesten wie das Zeigen des zukünftigen Arbeitsplatzes oder die Einladung zur Weihnachtsfeier. Das alles kann Vertrauen schaffen – aber auch falsche Erwartungen wecken.
Als Personaler oder Unternehmer trägst du Verantwortung für das, was in Bewerbungsgesprächen gesagt wird. Auch wenn die formale Entscheidung noch nicht gefallen ist, kann eine flapsige Aussage im schlimmsten Fall teuer werden.
Was Unternehmen besser machen können
1. Verbindlichkeiten klar regeln
Vermeide Formulierungen, die als Zusage missverstanden werden können. Statt „Wir freuen uns auf Sie“ lieber:
„Wir melden uns nach Abschluss des Auswahlprozesses.“
2. Schriftform abwarten
Erst wenn der Arbeitsvertrag schriftlich unterzeichnet ist, sollte von „Einstellung“ oder „Zusage“ gesprochen werden.
3. Gesprächsteilnehmer schulen
Nicht nur die HR-Abteilung, sondern auch Fachvorgesetzte sollten sensibilisiert sein, was sie in Bewerbungsgesprächen sagen dürfen – und was nicht.
4. Standard-Formulierungen nutzen
Viele Unternehmen arbeiten mit juristisch geprüften Standardformulierungen für Interviews und Absagen – das ist besonders in sensiblen Phasen hilfreich.
5. Dokumentation hilft
Protokolliere den Gesprächsverlauf, wenn möglich. So kannst du im Streitfall nachweisen, dass keine verbindliche Zusage gemacht wurde.
Fallbeispiel 3: Die Absage per E-Mail nach der Zusage
Ein junger IT-Spezialist erhält nach dem dritten Gespräch die Zusage – telefonisch. Der Personaler spricht sogar schon über den ersten Arbeitstag und bittet den Bewerber, seine Unterlagen zu schicken. Drei Tage später kommt per E-Mail die Absage: „Es tut uns leid, aber wir haben uns doch für eine andere Person entschieden.“
Folge: Der Bewerber lässt sich anwaltlich beraten – und verlangt eine Entschädigung für entgangene Verdienstmöglichkeiten.
Auch wenn kein schriftlicher Vertrag vorlag, kann die Kombination aus mündlicher Zusage und weiterem Verhalten des Unternehmens als bindend gewertet werden.
Sprachliche Stolperfallen im Bewerbungsgespräch
Diese Formulierungen solltest du als Personaler oder Geschäftsführung besser vermeiden:
- ❌ „Sie sind genau der Richtige!“
- ❌ „Dann sehen wir uns am 1. Oktober zum Arbeitsstart.“
- ❌ „Ich freue mich, dass Sie unser Team verstärken!“
- ❌ „Verlassen Sie sich darauf – das klappt!“
Stattdessen lieber:
- ✅ „Wir prüfen derzeit noch weitere Bewerber.“
- ✅ „Sobald die Entscheidung gefallen ist, melden wir uns schriftlich bei Ihnen.“
- ✅ „Wir sind sehr interessiert – das weitere Vorgehen erfolgt über unsere Personalabteilung.“
Was tun, wenn doch eine voreilige Zusage gemacht wurde?
Solltest du merken, dass ein Kollege oder du selbst eine verbindlich klingende Aussage gemacht hast, gilt: Nicht abtauchen, sondern aktiv aufklären!
- Schnelle Kontaktaufnahme mit dem Bewerber, um das Missverständnis aufzuklären.
- Klare Kommunikation, dass noch keine finale Entscheidung gefallen ist.
- Angebot eines klärenden Gesprächs – idealerweise telefonisch oder persönlich.
- Dokumentation der Kommunikation – für den Fall einer späteren juristischen Auseinandersetzung.
Mein persönlicher Blickwinkel
Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn viele Unternehmen erlebt, in denen Bewerbungsprozesse chaotisch liefen – oft aus Zeitdruck, manchmal aus Unwissenheit. Die meisten Personalverantwortlichen handeln in guter Absicht. Doch gerade bei Zusagen, auch wenn sie nur mündlich geäußert wurden, steckt mehr dahinter, als es auf den ersten Blick scheint.
Für mich ist klar: Wer Vertrauen aufbauen möchte, muss mit Worten achtsam umgehen – gerade im Recruiting. Ein wertschätzender Umgang beginnt schon im Bewerbungsprozess. Klare Kommunikation schützt nicht nur dein Unternehmen, sondern auch deine Arbeitgebermarke.
Was du daraus mitnehmen kannst
- Mündliche Zusagen können rechtlich bindend sein – auch ohne Unterschrift.
- Vorvertragliche Pflichten können zu Schadensersatz führen, wenn Vertrauen enttäuscht wird.
- Gerichtsurteile zeigen: Gerichte stellen sich zunehmend auf die Seite der Bewerber:innen.
- Klare Kommunikation und saubere Prozesse vermeiden nicht nur Klagen, sondern auch Imageschäden.
Rechtlicher Hinweis zum Schluss
Ich bin kein Rechtsanwalt, sondern teile hier meine beruflichen Erfahrungen und Kenntnisse im Umgang mit arbeitsrechtlichen Themen. Dieser Artikel stellt keine Rechtsberatung dar. Wenn du in deinem Unternehmen mit einem ähnlichen Fall konfrontiert bist oder rechtlich auf der sicheren Seite sein möchtest, empfehle ich dir dringend, einen Fachanwalt für Arbeitsrecht hinzuzuziehen.