Die Szene kennt vermutlich jede Führungskraft: Ein Mitarbeiter ist krankgeschrieben, vielleicht wegen Rückenproblemen, vielleicht wegen einer Grippe – und plötzlich sieht man auf Social Media ein Bild, wie er gerade eine Wanderung macht oder im Fitnessstudio Gewichte stemmt. Und dann stellt sich automatisch die Frage: Darf der das überhaupt? Oder noch relevanter: Was bedeutet das arbeitsrechtlich? Können Arbeitgeber hier einschreiten? Und wie steht das eigentlich im Einklang mit dem Entgeltfortzahlungsgesetz?
In diesem Beitrag beleuchten wir genau diese Fragen, werfen einen Blick auf echte Fallbeispiele, relevante gesetzliche Grundlagen und Gerichtsurteile – und zeigen dir, was du als Arbeitgeber oder Personalverantwortlicher tun kannst, wenn Sport und Krankschreibung aufeinanderprallen.
1. Krankgeschrieben heißt nicht automatisch bettlägerig
Zunächst mal ein ganz wichtiger Punkt: Eine Krankschreibung bedeutet nicht automatisch, dass jemand das Haus nicht verlassen oder keinen Sport treiben darf. Es kommt immer auf die Art der Erkrankung und die ärztlichen Empfehlungen an.
Beispiel:
Ein Mitarbeiter hat eine leichte Depression und wird arbeitsunfähig geschrieben. Ein Spaziergang an der frischen Luft oder moderater Sport wie Yoga oder Joggen kann in solchen Fällen sogar therapeutisch sinnvoll sein. Gleiches gilt für Rückenschmerzen – da kann Schwimmen oder leichtes Krafttraining vom Arzt empfohlen werden.
👉 Wichtig ist also: Nicht jeder Sport bei Krankschreibung ist ein Zeichen von Blaumacherei.
2. Die rechtliche Grundlage – was das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) sagt
Zentral ist hier § 3 Absatz 1 EFZG:
„Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts durch den Arbeitgeber.“
Was bedeutet das übersetzt?
- Der Mitarbeiter muss tatsächlich arbeitsunfähig sein.
- Er darf nicht selbst schuld an seiner Krankheit sein.
- Er bekommt sechs Wochen Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber.
Wenn der Mitarbeiter trotz Krankschreibung sportlich aktiv ist, stellt sich also die Frage: Steht dieses Verhalten im Widerspruch zur attestierten Arbeitsunfähigkeit?
3. Sport trotz Krankmeldung – wann es problematisch wird
Wenn Sport dem Heilungsprozess entgegenwirkt oder diesen verzögert, kann das für den Arbeitnehmer ernsthafte Konsequenzen haben – arbeitsrechtlich wie auch beim Krankengeld.
Hier ein paar typische Fallkonstellationen:
Fall 1: Krank wegen Grippe, aber beim Fußballturnier gesehen
Ein Mitarbeiter meldet sich mit starker Grippe krank. Drei Tage später taucht er auf einem Vereinsfoto auf – verschwitztes Trikot, Pokal in der Hand.
Risiko:
Hier liegt der Verdacht nahe, dass der Mitarbeiter entweder nicht wirklich krank war oder den Heilungsverlauf durch körperliche Anstrengung verzögert hat. Das kann eine Abmahnung oder sogar Kündigung nach sich ziehen – insbesondere, wenn der Arbeitgeber den Beweis erbringen kann.
Fall 2: Krank wegen Rückenproblemen, aber beim Klettern gesehen
Eine Mitarbeiterin fällt wegen Bandscheibenvorfall aus – wird aber beim Bouldern im Kletterzentrum gesehen.
Risiko:
Auch hier muss differenziert werden. Wenn Klettern vom Arzt nicht ausdrücklich erlaubt oder empfohlen ist, handelt es sich wahrscheinlich um genesungswidriges Verhalten.
Fall 3: Krank wegen Burnout, aber täglich im Yogastudio
Ein Mitarbeiter ist wegen psychischer Erschöpfung krankgeschrieben. Er geht regelmäßig zum Yoga, wandern, trifft Freunde.
Beurteilung:
Das kann sogar positiv bewertet werden, solange es der Rekonvaleszenz dient und nicht gegen ärztliche Empfehlungen verstößt.
4. Was sagen die Gerichte?
Es gibt einige wegweisende Urteile, die Personalverantwortlichen Orientierung geben:
1. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.07.2013 (Az. 10 Sa 100/13)
Ein Busfahrer war wegen einer psychischen Erkrankung krankgeschrieben und reiste währenddessen nach Kenia, um dort ein Haus zu bauen. Der Arbeitgeber kündigte fristlos.
Urteil:
Das Gericht entschied: Die Kündigung war unwirksam. Der Arbeitnehmer habe glaubhaft gemacht, dass der Aufenthalt der Erholung diente und therapeutisch sinnvoll war.
👉 Merke: Nicht jede Aktivität während der Krankschreibung ist ein Kündigungsgrund.
2. LAG Hessen, Urteil vom 02.11.2011 (Az. 6 Sa 596/11)
Ein Mitarbeiter meldete sich krank und trat in dieser Zeit bei mehreren Fußballspielen als Schiedsrichter auf. Der Arbeitgeber kündigte fristlos.
Urteil:
Hier wurde die Kündigung als wirksam angesehen. Das Verhalten widerspreche dem Genesungszweck und sei daher geeignet, das Vertrauensverhältnis nachhaltig zu zerstören.
👉 Merke: Wenn die Aktivität mit der Erkrankung unvereinbar ist, drohen ernste Konsequenzen.
5. Was darf der Arbeitgeber überhaupt tun?
Als Arbeitgeber bist du natürlich nicht machtlos, wenn du das Gefühl hast, dass „etwas nicht stimmt“. Aber Vorsicht: Detektiv spielen oder die Privatsphäre der Mitarbeiter verletzen geht nach hinten los.
Hier ein paar Optionen, die rechtssicher sind:
a) Rückfrage beim Mitarbeiter
Der erste Schritt sollte immer ein offenes Gespräch sein. Manchmal klären sich Missverständnisse sofort. „Ich habe gehört, du warst joggen – wie geht’s dir denn?“ ist oft besser als direkt mit rechtlichen Konsequenzen zu drohen.
b) Ärztliche Stellungnahme anfordern
Wenn berechtigte Zweifel bestehen, kannst du eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) beantragen (vorausgesetzt, der Mitarbeiter bezieht Krankengeld).
c) Beweise sammeln – aber legal
Fotos von Social Media dürfen grundsätzlich verwendet werden, wenn sie öffentlich zugänglich sind. Eine verdeckte Überwachung ist dagegen nur unter sehr engen Voraussetzungen erlaubt (z. B. Verdacht auf Straftat).
d) Abmahnung oder Kündigung
Wenn sich herausstellt, dass der Mitarbeiter genesungswidrig gehandelt oder die Erkrankung nur vorgetäuscht hat, kann das arbeitsrechtliche Konsequenzen haben – Abmahnung, Lohnkürzung oder in schweren Fällen sogar Kündigung.
Aber: Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt – und oft auch juristischer Beistand.
6. Empfehlungen für die Praxis – was Personalverantwortliche wissen sollten
1. Vertrauen ist gut, Kontrolle manchmal nötig
Die meisten Mitarbeiter nutzen ihre Krankmeldung verantwortungsvoll. Aber es gibt Ausnahmen – und die dürfen nicht zur Regel werden.
2. Krankmeldung ist kein Sportverbot
Sportarten, die der Genesung dienen, sind erlaubt – manchmal sogar gewünscht. Arbeitgeber sollten also nicht jedes Bewegungsfoto gleich als Arbeitsverweigerung werten.
3. Transparenz hilft
Viele Missverständnisse lassen sich durch klare Kommunikation verhindern. Ein kurzer Hinweis im Gespräch oder im Mitarbeiterhandbuch kann helfen: „Bitte achten Sie während Ihrer Krankschreibung darauf, nur Aktivitäten nachzugehen, die mit dem Heilungsprozess vereinbar sind.“
4. Dokumentation schützt
Wenn du einen Verdacht hast: Notiere dir Zeit, Ort und Quelle der Information (z. B. öffentlicher Facebook-Post), aber überschreite keine Grenzen. Bei Unsicherheit: juristischen Rat einholen.
7. Alternative Perspektive – warum Sport manchmal sogar gut ist
Gerade in Zeiten von Mental Health Awareness und dem steigenden Druck in der Arbeitswelt ist es wichtig, nicht sofort das Schlechteste anzunehmen. Ein Spaziergang, ein Yogakurs oder ein Fitnessstudio-Besuch kann Teil der Genesung sein – körperlich wie psychisch.
Vielleicht ist ein Mitarbeiter auch nicht mehr krank, aber noch nicht wieder arbeitsfähig – ein Zustand, der schwer zu greifen ist, aber in der Realität oft vorkommt.
8. Was tun bei wiederholtem Auffälligwerden?
Wenn ein Mitarbeiter wiederholt durch Sport während einer Krankschreibung auffällt, lohnt sich ein strukturiertes Vorgehen:
- Gespräch suchen
- Gesundheitsmanagement aktivieren (z. B. durch eine betriebliche Wiedereingliederung oder Beratung)
- Rechtsberatung einholen
- Arbeitsrechtliche Schritte prüfen
Aber auch hier gilt: Jeder Fall ist individuell. Es kommt auf die Krankheit, das Verhalten und den Einzelfall an.
Und was heißt das jetzt konkret für dich als Arbeitgeber?
Sport trotz Krankschreibung ist kein pauschaler Kündigungsgrund – aber auch kein Freifahrtschein. Es kommt immer auf die Umstände an:
- Was für eine Krankheit liegt vor?
- Ist der Sport geeignet, den Heilungsprozess zu fördern oder zu behindern?
- Gibt es Hinweise auf eine vorgetäuschte Krankheit?
Als Arbeitgeber solltest du besonnen und transparent vorgehen – und im Zweifel professionellen Rat einholen. Es geht schließlich um Vertrauen, Verantwortung und auch um rechtliche Absicherung.
Persönliche Einschätzung
Wenn wir ehrlich sind, dann wünschen wir uns im Arbeitsleben doch vor allem eines: Verlässlichkeit. Wenn jemand krank ist, dann soll er sich auskurieren – und wenn er gesund ist, wieder durchstarten. Sport in der Krankheitsphase kann helfen – oder schaden. Arbeitgeber sollten deshalb wachsam, aber nicht paranoid sein.
Und Mitarbeiter sollten sich fragen: Würde ich mein Verhalten auch meinem Chef gegenüber erklären können? Wenn ja, ist es meist okay. Wenn nicht – vielleicht lieber doch nochmal beim Arzt nachfragen.
Rechtlicher Hinweis:
Ich bin kein Rechtsanwalt. Die Inhalte dieses Artikels basieren auf meiner Erfahrung im Personalwesen, auf Recherchen sowie auf öffentlich zugänglichen Quellen. Für individuelle Fälle empfehle ich dringend, Rücksprache mit dem zuständigen Unternehmensjuristen oder einem Fachanwalt für Arbeitsrecht zu halten.